Über „spritzende Promis“ und weitere Märchen über Mounjaro & Co.
In den letzten Wochen tauchen wieder vermehrt Schlagzeilen zu den ‚Abnehmspritzen‘ auf. Grundsätzlich fände ich es begrüßenswert, wenn über dieses nicht nur für mich wichtige Thema mehr berichtet werden würde. Die Anzahl der Betroffenen ist immens hoch (ca. 1/4 aller erwachsenen Deutschen leidet an Adipositas). Leider ist das Maß an Unwissenheit, die Menge an Falschinformationen und Vorurteilen aber noch höher. Die Zahl der Journalisten, die sich seriös mit dem Thema beschäftigen, scheint hingegen winzig zu sein.
Den Auftakt der neuen ‚Abnehmspritzen-Berichts-Serie‘ machten einige Artikel über den signifikanten Gewichtsverlust von Ricarda Lang. Darin wurde wild spekuliert, wie sie es wohl geschafft habe so viel abzunehmen und ob Ozempic dabei eine Rolle gespielt haben könnte (später mehr dazu). Dann endlich hat sie sich dazu geäußert: sie habe ihre Ernährung umgestellt und mehr Sport gemacht. ‚Mehr‘ Sport? Aus eigener, leidvoller Erfahrung wage ich zu behaupten, dass sie vorher gar keinen Sport gemacht hat – gar keinen Sport machen konnte. Aber das ist natürlich nur eine Vermutung.
Auch wird sie nicht müde zu betonen, dass sie das ganz ohne Abnehmspritze geschafft hat. Super! Wenn dem so ist, hat sie meinen ehrlichen Respekt. Den hat sie aber so oder so, denn so viel abzunehmen ist in keinem Fall eine leichte Sache. Aber wäre es denn schlimm oder weniger wert, wenn sie eine Spritze benutzt hätte? Ich finde eindeutig: Nein!
Dann bin ich auf Facebook von einigen Wochen auch einen Artikel von RTL Luxemburg (ich weiß, dass das L in RTL für Luxemburg steht, aber der Sender heißt eben so und es soll hier keine Verwechslung mit den journalistisch sehr hochwertigen *hüstel* Produkten aus Köln geben).
Apropos ‚journalistisch‘. Ist Euch schonmal aufgefallen, dass die meisten Menschen heute ‚Dschornalisums‘ sagen? Ich spreche zwar kein Französisch, aber kommt es nicht vom französischen ‚le jour‘ und muss daher mit einem J und nicht mit einem D am Anfang ausgesprochen werden? Wäre das nicht fußläufig? Jahaaa, fußläufig bedeutet nämlich so viel wie ‚nah‘ (zu Fuß zu erreichen) und nicht etwa, dass jemand zu Fuß abgehauen ist. „Der Täter flüchtete fußläufig“, wie die Polizei und einige ;Dschornalisten‘ (oder solche, die sich dafür halten) gerne schreiben. Natürlich würde „fußläufig“ in oben genanntem Fall auch keinen Sinn ergeben („Sinn machen“ gibt‘s im Deutschen übrigens auch nicht!), ist mir nur gerade ein- und aufgefallen. Herrje, schon wieder völlig vom Thema abgekommen. Also, wo war ich? Ach ja, beim Artikel von RTL…
Es ging darum, dass der Sender Menschen gesucht hat, die Ozempic rein zur Gewichtsreduktion benutzt haben. Sie sollten über ihre Erfahrungen berichten. Das hat mich etwas verwundert, denn in Deutschland darf der Arzt Ozempic nur dann verschreiben, wenn man Diabetiker ist. Eine sehr kurze Recherche später wusste ich, dass das in Luxemburg genauso ist. Die Grundannahme war also schon falsch. Zwar gibt es in Luxemburg anscheinend eine erhöhte Off-Label-Nutzung, aber das Anliegen von RTL war ja, etwas über die Erfahrungen, Wirkungen und Nebenwirkungen von LGP-1-Analoga (also allg. ‚Abnehmspritzen‘) herauszufinden und nicht über den Missbrauch dieser Medikamente.
Mein Genöle kann man jetzt als Erbsenzählerei ansehen, aber wenn man sich dann die Kommentare unter dem Beitrag angesehen hat, weiß man, dass hier eine saubere Trennung und vor allem jede Menge Aufklärung dringend nötig ist. Ich darf einige hochqualifizierte User zitieren:
„Wenn man zu fett ist, soll man halt weniger fressen“
„Eine Sauerei den Diabetikern ihr Insulin wegzunehmen, bloß um ohne Anstrengung abzunehmen!“
„FDH tut’s auch – man braucht keine Medikamente“
„Neumodischer Hollywood-Scheiß“
Das ging Seite um Seite so weiter und mir ist fast schlecht geworden. Ich wüsste gar nicht wo man anfangen soll zu erklären, wie schwachsinnig, unqualifiziert und dumm solche Aussagen sind. Natürlich habe ich erst gar nicht angefangen das alles zu kommentieren. Ich hätte es genau so gut in den Schnee in Alaska pinkeln können. So viel habe ich mit meinen 50 Lenzen dann doch schon gelernt.
Aber vielleicht erreicht es ja hier irgendwen.
-
-
- „Wer Ozempic & Co. verwendet um abzunehmen, nimmt Diabetikern das Insulin weg.“
Blödsinn, weil diese Medikamente kein Insulin sind und dieses auch nicht ersetzen. Niemand nimmt irgendwem, irgendwas weg. Inzwischen ist von allen Wirkstoffen und Medikamenten genug ‚für alle‘ da – vereinfacht gesagt. - „Jeder nimmt jetzt diese Spritzen um abzunehmen – und wenn’s nur ist, um auf der nächsten Party gut auszusehen!“
Schwachsinn, weil diese Medikamente erst ab einem BMI >30 verschrieben werden dürfen. Sicher gibt es auch Menschen, die das Zeug nicht bestimmungsgemäß benutzen, aber dazu muss man erstmal rankommen. Zudem gibt es auch Menschen, die sich alkoholgetränkte Tampons in den Hintern schieben. Aber ich kann mich hier wirklich nicht um alles kümmern! - „Wenn Du zu fett bist, friss halt weniger!“
Leider auch falsch, denn es ist deutlich komplizierter. Mehr dazu in diesem Artikel - „Ich bin von der Abnehmspritze schwanger geworden!“
Ja, auch diese Aussagen findet man unglaublicherweise. Wie und wovon man schwanger werden kann, werde ich hier jetzt nicht erklären. Nur so viel: Ozempic, Wegovy und Mounjaro gehören nicht dazu. Dass diese Medikamente die Wirksamkeit der ‚Pille‘ beeinträchtigen können, steht groß im Beipackzettel („Lesen verringert das Risiko zu verblöden!“) und zudem sollte auch der Arzt darauf aufmerksam machen. Alternative Verhütungsmethoden werden empfohlen. - „Ich habe meinen Geschmacksinn durch die Anwendung der Abnehmspritze verloren!“
Neeee… Es kann lt. Beipackzettel gelegentlich (Definition: kann bis zu 1 von 100 Behandelten treffen) zu einem veränderten Geschmacksempfinden kommen. Von einem Komplettverlust ist mir, trotz einiger Recherche nichts bekannt. - „Ich habe durch die Spritze einen regelrechten Ekel vor Kohlehydraten.“
Diese und auch die Aussage davor habe ich bisher nur von einer einzigen Person gehört: Michael Schanze. Da ich mich intensiv mit dem Thema beschäftige und viel darüber lese, höre und sehe, wäre mir sicher aufgefallen, wenn das häufiger berichtet wird.
- „Wer Ozempic & Co. verwendet um abzunehmen, nimmt Diabetikern das Insulin weg.“
-
Ja, Michael Schanze… Wie den Medien zu entnehmen ist, hat er mit „der Abnehmspritze“ (mit welcher auch immer) über 90 Kilo (!) abgenommen. Ob das mit seinem Ekel und dem verlorenen Geschmackssinn stimmt, und falls es stimmt, ob das dann mit der Spritze zusammenhängt, kann ich natürlich nicht beurteilen. Allerdings erscheint mir beides extrem unwahrscheinlich. Ich halte es für viel wahrscheinlicher, dass da ein abgehalfterter Ex-Fernsehstar nochmal in die Medien wollte, um seine Rente aufzubessern. Schade, dass das auf diese Weise geschehen muss.
Wenn ich 90 kg abgenommen hätte, würde ich das Produkt, mit dem ich das geschafft habe, etwas besser davon kommen lassen – es sei denn, er hat tatsächlich diese Beschwerden und es kann auch nachgewiesen werden, dass es an dem Medikament liegt.
Leider habe ich in diesem, wie auch in den anderen genannten Beispielen, wenig Hoffnung, dass da noch eine sachlich fundierte Nachlese erfolgt. Wenn schon die absoluten Grundlagen so schlampig bzw. gar nicht recherchiert werden, kann man wohl kaum viel erwarten.
Ein Wort noch zu den Promis, welche ‚die Spritze‘ benutzen: sie werden ja überall abgebildet und erwähnt – klar, darum sind sie ja auch Promis. Aber was ist das Problem? Macht es die Produkte schlechter? Schmälert es ihren Abnehm-Erfolg weil sie prominent sind? Sollten Normalsterbliche das Zeug nicht benutzen, weil es die Promis tun? Schmälert es deren Erfolg, weil das ja sogar Promis hinbekommen?
Ich verstehe es nicht ganz. Vielleicht kann mich jemand von Euch aufklären?!
Genannt werden da immer Oprah Winfrey, Elon Musk und Oliver Pocher (schon eine merkwürdige Runde, oder?). Zu den letzten beiden Platzpatronen kann und will ich mich nicht äußern und über ihre Gewichtsreduktion weiß ich schon gar nichts. Aber über Frau Winfrey habe ich einige Artikel gelesen als ich versucht habe mich für oder gegen eine solche Art von Medikation zu entscheiden. Was bei mir davon hängen geblieben ist:
-
-
- Sie sagt, dass die Medikamente nur ein Teil ihrer Gesundheitsstrategie sind und nicht als alleinige Lösung oder Wundermittel betrachtet werden können
- Auch berichtet sie darüber, dass sie geholfen haben den ‚Food-Noise‘ (aufdringliche und unangenehme Gedanken an Essen, die ein Gesunder so nicht kennt) zu reduzieren
- Ursprünglich hatte sie Bedenken, ein solches Medikament zu nehmen, da sie es als „einfachen Weg“ ansah. Durch die eigene Erfahrung hat sie gelernt, dass es eine biologische Komponente bei der Gewichtskontrolle gibt, die über reine Willenskraft hinausgeht.
- Sie hat eine Sondersendung namens „Shame, Blame and the Weight Loss Revolution“ moderiert, um das Stigma und die Scham im Zusammenhang mit Gewichtsverlust und der Nutzung von Medikamenten wie Ozempic & Co. zu beenden. Zu sehen auf Disney Plus.
-
Alle diese Punkte kann ich aus eigener Erfahrung komplett bestätigen.
Also: wer auch am überlegen ist, ob ein solches Medikament für ihn in Frage kommt, muss prüfen, ob er die Voraussetzungen dafür erfüllt, sollte gründlich Pro und Contra gegeneinander abwägen und sich vor allem nicht bekloppt machen lassen.
Weitere Erfahrungen, Tipps und Entscheidungshilfen gibt‘s in meiner Rubrik Ballastabwurf.
Cheers!




